30. August 2008

US-Ökonomie: Exportierte Rezession? Vorläufig!

Die in dieser Woche veröffentlichte, korrigierte Zahl für das US-Wachstum im 2. Quartal 2008 – 3,3% (Jahresrate) – scheint alle Konjunkturpessimisten Lügen zu strafen. Doch Nouriel Roubini, der wie kein anderer die multiple Krise der US-Wirtschaft vorausgesagt hatte und deshalb von der New Yolrk Times kürzlich als Dr. Doom (Dr. Unheil) porträtiert wurde, ließ in seinem RGE-Monitor gestern sogleich die Frage stellen, ob es sich dabei nicht nur um eine vorübergehende Erholung handele, bevor die US-Ökonomie so richtig einbricht.



Der derzeit vielleicht am meisten zitierte Star-Ökonom könnte wieder einmal recht behalten. Denn von dem auf den ersten Blick sagenhaften Quartalswachstum von 3,3% wurden 3,1% durch das kräftige Exportwachstum erzielt, das die US-Unternehmen in den letzten Monaten hinlegten. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die starke Abwertung des US-Dollars, die die Exporte so stark verbilligte, dass sie sogar die (steigenden) Kosten des Imports von Öl und anderen Rohstoffen überkompensierten. Die Frage ist deshalb in der Tat, wie dauerhaft dieses Aufflackern der Konjunktur wirklich ist. Denn erstens ist es nur die Kehrseite des schwachen Binnenkonsums in den USA, der weiter einbrechen wird, wenn die Wirkungen des jüngsten Konjunkturprogramms der Bush-Administration auslaufen. Und zweitens stellt sich die Frage nach der künftigen Aufnahmefähigkeit der Exportmärkte. Europa jedenfalls fällt aus, wenn die Fahrt in die Rezession weiter anhält.

Wirklich interessant an diesem Vorgang des Exports der Rezession durch den Kanal des Außenhandels ist aber etwas anderes. Was die USA hier seit kurzem praktizieren, ist die gängige Methode, mit der die exportstarken Nationen Europas, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, seit Jahren die Schwächen ihrer Binnenökonomie überspielt haben. Angesichts der Verteuerung des Euro stößt das jetzt auch hier an Grenzen. Der Ausweg aus dieser vertrackten Situation könnte nur durch eine gemeinsame und koordinierte internationale Konjunkturpolitik gefunden werden. Den Leserinnen und Lesern dieses Blogs dürfte diese Erkenntnis nicht neu sein. Sie zu verwirklichen, setzt jedoch eine grundlegende Neudefinition der außenwirtschaftlichen Interessen voraus – auf allen Seiten. Und daran hapert es wie immer.

28. August 2008

Obama auf allen Kanälen: Gegner illegitimer Schulden

Hocherfreut zeigt sich das Netzwerk erlassjahr.de heute, dass der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama im Falle seiner Wahl das Thema illegitime Schulden auf die internationale Tagesordnung setzen will. Diese Position ist in einem Strategiepapier zur „Förderung der globalen Entwicklung und der Demokratie“ enthalten, das den entwicklungspolitischen Kurs Obamas zu Papier bringt. Vorgesehen sind danach ebenfalls Initiativen, durch Kreditsanktionen (loan sanctions) Anreize zu schaffen, die private Kreditgeber davon abhalten, repressiven und autoritären Regimen Geld zu leihen.

Auch Obamas Ankündigungen, dass „(s)eine Regierung [...] auch dafür Sorge tragen [wird], dass in Zukunft die ärmsten Länder nicht wieder unter einer erdrückenden Schuldenlast zu leiden haben" und dass "er [...] sich für Reformen bei der Weltbank einsetzten [wird], um sicherzustellen, dass arme Länder finanzielle Hilfen in Form von Zuschüssen anstatt Krediten erhalten“, werden von erlassjahr.de unterstützt. Kritisch vermerkt das Netzwerk in einer Analyse des Obama-Papiers allerdings, dass dieses nicht für eine Ausweitung des Kreises der Länder plädiert, die unter die bisherigen Entschuldungsinitiativen fallen.

Wie dem auch sei – die entwicklungspolitischen Leitlinien des demokratischen Hoffnungsträgers (Motto: „Strengthening Our Common Security by Investing in Our Common Humanity“) ergeben sicher ein positiveres Bild der künftigen internationalen Rolle Obamas als dessen außenpolitische Äußerungen gegenüber dem Süden (>>> Was der Süden von Obama (nicht) erwarten kann). Allerdings ist die Entwicklungspolitik allerdings traditionell ein weites Terrain für (meist unerfüllte) Ankündigungen. Immerhin: Wenn jemand etwas ankündigt, kann man ihn später daran messen.

26. August 2008

Entwicklungshilfe: Weniger Abhängigkeit statt mehr Effektivität

Während sich hunderte von entwicklungspolitischen Experten auf die Reise nach Accra vorbereiten, um dort darüber zu diskutieren, wie die Entwicklungshilfe effektiver und wirksamer gemacht werden kann, geht der Trend der Debatte bereits in eine andere Richtung. Symptomatisch dafür sind drei Bücher, die gerade erschienen sind oder die anlässlich des „Hochrangigen Forums der OECD zur Wirksamkeit der Hilfe“, das Anfang nächster Woche in der ghanaischen Hauptstadt stattfindet, herauskommen werden. Alle argumentieren, dass die Entwicklungsländer ihre Abhängigkeit von der westlichen Entwicklungshilfe reduzieren müssen, am zugespitzesten Yash Tandon, der Direktor des South Centre, das die Gruppe der 77 berät, in seinem Buch Ending Aid Dependence.

Tandon will sein Buch auf einem Side Event bei der Accra-Konferenz vorstellen und damit der Gefahr entgegenwirken, dass mit der vorgesehenen Verabschiedung der Accra Action Agenda zugleich eine Art kollektive Unterwerfung der Nehmer unter die Kontrolle der Geber stattfindet. Das Vorwort zu Tandons Buch hat der ehemalige Präsident Tansanias, Benjamin W. Mkapa, beigesteuert. Darin heißt es: „Das vorrangige und langfristige Ziel dieser Monographie besteht in der Initiierung einer Debatte über Entwicklungshilfe, die die Grundlage für eine praktikable Strategie zur Beendigung der ODA-Abhängigkeit legen soll.“ Tandon schreibt, dass die Entwicklungsländer der ODA-Abhängigkeit entkommen wollen und doch unfähig zu sein scheinen, dies zu bewerkstelligen. Das Buch will zeigen, u.a. in einem Sieben-Punkte-Plan, wie sich die Entwicklungsländer von einer Hilfe befreien können, die fälschlicherweise vorgibt, der Entwicklung zu dienen. Die Entwicklung einer Exit-Strategie aus der Entwicklungshilfe sollte daher in allen Ländern des Südens ganz oben auf der Agenda stehen.

Auch ein neues Buch von Jonathan Glennie, The Trouble with Aid, ruft die armen Länder zur Reduktion ihrer Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe auf. Und der Sammelband des kenianischen Journalisten Rasna Warah, Missionaries, mercenaries and misfits: an anthology, versammelt noch einmal zahlreiche afrikanische Publizisten mit kritischen Beiträgen zum westlichen „developmentalism“. – Bereits im letzten Juni rief die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in ihrem LDC-Report dazu auf, eine „Exit-Strategie“ aus der Entwicklungshilfe zu entwickeln (>>> W&E 07-08/2008). Und in dem Anfang nächsten Monats erscheinenden Trade & Development Report wird sie es wieder tun. Die zitierten Neuerscheinungen sind also tatsächlich kein Einzelfall.

25. August 2008

Globale Rezession ante portas?

In den letzten beiden Wochen ist die Welt ein beträchtliches Stück weiter an eine globale Rezession heran gerückt. Und die Nachrichten der kommenden Wochen werden kaum besser sein. Für diejenigen, die nicht jeden Winkelzug der Weltwirtschaft bis ins letzte Detail verfolgen, könnten die in den letzten Wochen veröffentlichten Daten sogar wie ein Schock gewirkt haben. Die Wirtschaft der Eurozone schrumpfte zum ersten Mal seit der Einführung des Euro – zwar um „nur“ 0,2%, aber mit guten Aussichten auf einen weiteren Rückgang im dritten Quartal. Damit wäre auch technisch das Kriterium der Ökonomen für eine Rezession erfüllt. Zum ersten Mal seit sieben Jahren schrumpfte auch die japanische Wirtschaft (um 0,6%). Und die USA – im zweiten Quartal mit 0,5% Wachstum besser als erwartet – weisen inzwischen immerhin 5,6% Inflation und eine schnell zunehmende Arbeitslosigkeit auf.


Die Einbrüche mögen für Wachstumskritiker alles andere als dramatisch sein. Vom Standpunkt eines auf Expansion angelegten Wirtschaftsmodells und für Wachstumsfetischisten allemal sind es Warnzeichen ersten Ranges – zumal sich inzwischen auch die These von der Abkoppelung Europas und der Schwellenländer von der weltweiten Konjunktur immer mehr als Wunschdenken erweist. In Kontinentaleuropa sind jetzt die stärksten Ökonomien im Minus: Deutschland -0,5%, Frankreich -0,3%, Italien -0,3%. In Spanien hielt das Kabinett letzte Woche zum ersten Mal in der spanischen Geschichte eine Krisensitzung mitten in der Ferienzeit ab. Und es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Rezession im Norden auch bei den BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China) in nachlassendem Wachstum bemerkbar macht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält eine globale Rezession schon gegeben, wenn das durchschnittliche weltweite Wachstum unter +2,5% fällt (weil den Entwicklungsländern als Aufholökonomien immer ein relativ stärkeres Wachstum zugebilligt wird). Derzeit wird damit gerechnet, dass das globale Wachstum bis Mitte 2009 auf 3% zurückgeht, also eine Fast-Rezession.

Die Crux besteht darin, dass dieser nach unten weisenden weltwirtschaftlichen Entwicklung kein globales Instrumentarium der wirtschaftspolitischen Koordination und Steuerung gegenüber steht. Zwar ist der Washington Consensus mehr oder weniger tot (>>> W&E 06/2008). Aber für ein Zurück bzw. Nach Vorn zu einer gemeinsamen antizyklischen Politik reicht die Kraft (noch) nicht. Noch sehen sich viele Regierungen in einer Art Statistenrolle und scheinen zu warten, bis die Flaute vorüber ist. Nur in den USA sieht man das teilweise etwas anders. Es käme aber darauf an, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Nicht zuletzt deshalb, weil eine weltweite rezessive oder fast-rezessive Entwicklung auch das zunichte machen würde, was (wenig genug!) in Richtung Millennium-Entwicklungsziele erreicht wurde. Auch so gesehen gibt es eine vorrangige Verantwortung des Nordens in den Nord-Süd-Beziehungen.

Weitere Information: >>> W&E-Dossier „Die globale Ökonomie in der Krise“

8. August 2008

Governance-Reform der Weltbank: Mangelnder Ehrgeiz

In einem Offenen Brief will eine von Oxfam International, Eurodad, dem Bank Information Center, dem Bretton Woods Project und der New Rules for Global Finance Coalition initiierte NGO-Koalition in diesem Monat Weltbank-Präsident Robert Zoellick dazu auffordern, die Gelegenheit für eine ehrgeizige Reform der Bank zu nutzen. Zugleich bringen die NGOs ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass der derzeitige Prozess der Governance-Reform bei der Weltbank hinter dem zurückbleibt, was angesichts der „neuen systemischen Realitäten“ in der Weltwirtschaft geboten wäre. In dem Brief, für den z.Zt. weitere Unterschriften gesammelt werden, heißt es u.a.:

“We urge that any reform be substantial, resulting in fundamental changes that would allow the Bank to fight poverty in a far more effective, equitable and transparent manner. For this to happen there must be a true partnership between developing and developed countries.

Key to this is a commitment to parity of voice between developed, and developing and transition countries within an agreed timeframe. This would also need to be accompanied by other measures such as a transparent, merit-based election process for the president, and a consolidation of European power at the Bank’s board.

The quota reforms voted in at the IMF earlier this year were far from adequate. We believe it is important that any notion of parallelism between the IMF quota and World Bank votes be dropped in favour of the clear recognition that the World Bank has a very different purpose from the IMF. As the World Bank/IMF 2008 Spring Meeting Development Committee Communiqué stated, the Bank’s development mandate means it is distinct in nature.

Failure to achieve this deeper, systemic reform would leave the Bank vulnerable to irrelevance in the evolving structures of global financing and policy. For this reason, we urge you to use the Bank governance reform as an opportunity to promote a vision for the Bank which conforms more closely to the dramatically changed global context than the one currently being envisaged.”

Wer den Brief unterstützen will, sollte eine entsprechende Erklärung an Jeff Powell beim Bretton Woods Project schicken (jpowell@brettonwoodsproject.org).

7. August 2008

Nach Doha: Transformation des multilateralen Handelssystems?

Als Ausdruck der Transformation des Welthandelssystems beschreibt Tobias Reichert in der neuen Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 07-08/2008) das jüngste Scheitern der Verhandlungen im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde. Der Zusammenbruch der Genfer Handelsgespräche in der letzten Woche ist in der Tat eher der Regelfall als die Ausnahme im nunmehr siebenjährigen Verlauf der Doha-Runde. Der Autor weist darauf hin, dass die Industrieländer nach jedem Scheitern der Verhandlungen den Entwicklungsländern einige Konzessionen mehr gemacht haben. Und so sei auch diesmal wieder denkbar, dass der Norden nach den US-Wahlen dem Süden einen verbesserten Speziellen Schutzmechanismus (SSM) anbietet, um dessen Gegenleistungen beim Abbau der Industriezölle zu bekommen.

Eine weniger optimistische Entwicklungsperspektive für das Welthandelssystem sieht allerdings der brasilianische Außenminister und Verhandlungsführer Celso Amorin. In einem Interview zu Anfang dieser Woche beschwor er die Gefahr einer „realen Fragmentierung des Welthandels“ mit mehr bilateralen Abkommen, mehr Streitschlichtungsverfahren in der WTO und mehr Protektionismus. Für Brasilien selbst sieht er momentan die „einzige Chance“ darin, über das Streitschlichtungssystem der WTO die Zugeständnisse beim Abbau von Agrarsubventionen einzuklagen, die der Norden, vor allem die USA, auf dem Verhandlungsweg nicht machen wollte.

Brasilien hatte die anstehende Verhängung von Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA wegen deren illegaler Baumwollsubventionen im Juni mit Blick auf die Einigungschancen in der Doha-Runde ausgesetzt, jetzt aber deren zügige Umsetzung angekündigt. Betroffen werden davon immerhin US-Dienstleistungen und die Zahlung von Patentgebühren in Höhe von 1 Mrd. Dollar. Für diskriminierend halten die Brasilianer auch die Importzölle Washingtons gegen brasilianisches Ethanol. Auch hier kündigte die Regierung in Brasilia jetzt ein Panelverfahren im Rahmen der WTO an. – Die Nutzung des WTO-Verfahrens durch immer mehr Länder des Südens weist darauf hin, dass das multilaterale Handelssystem auch bei stockenden Liberalisierungsverhandlungen durchaus eine Zukunft hat. Wenn der Norden nicht lernt, die neuen Mächte des Südens als Verhandlungspartner Ernst zu nehmen, bleibt nur der Kadi als Ebene der Auseinandersetzung. Und hier symbolisiert die WTO sogar einen echten Fortschritt gegenüber ihrem Vorläufermodell GATT.